Interview Dr. med. Iris Hauth
Der bevorstehende HAUPTSTADTKONGRESS 2023 (HSK) präsentiert sich in diesem Jahr mit einer vollständigen neuen Spitze. Dr. med. Iris Hauth hat die wissenschaftliche Leitung des Ärzteforums übernommen und spricht im Interview mit Bianca Flachenecker, HCM-Chefredakteurin, u.a. über mutige Lösungen im Angesicht des Wandels und über die Rolle des Leadership im Healthcare-Sektor. Dabei erklärt sie, was es voraussetzt, den Mut für innovative Lösungen für die Herausforderungen der #Versorgungslandschaft zu finden und warum hier insbesondere ein #Perspektivenwechsel relevant ist. „Um Mitarbeitende zu begeistern, zu empowern und in der Einrichtung zu halten, steht die Wichtigkeit und Wirkung von Führung absolut im Mittelpunkt,“ antwortet Dr. Iris Hauth im Interview auf die Frage über die Rolle der #Führung. Ob 2023 die Grundlage einer neuen #Versorgungsstruktur ihrer Meinung nach geschaffen wird und warum auch die fehlende Bedeutung der #Patientenperspektive bei all den Diskussionen im Gesundheitswesen ein entscheidendes Problem darstellt, führt sie im Gespräch aus. Das vollständige Interview gibt es im Link:
https://www.hcm-magazin.de/verpflichtende-vorgaben-gegen-partialinteressen-327074/
Interview mit Dr. Iris Hauth
Verpflichtende Vorgaben gegen Partialinteressen
Der Countdown zum Hauptstadtkongress 2023 (HSK) hat begonnen. In diesem Jahr wartet das Branchengroßevent mit einer vollständig neuen Spitze auf. Dr. Iris Hauth hat die wissenschaftliche Leitung des Ärzteforums übernommen. Im Interview mit HCM spricht sie u.a. über das Finden von mutigen Lösungen angesichts des Wandels und die Rolle von Leadership.
Dr. Iris Hauth ist Geschäftsführerin der Alexianer St. Joseph Berlin-Weißensee GmbH und Ärztliche Direktorin des Alexianer des St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee. Seit 2022 ist Hauth Wissenschaftliche Leiterin des Ärzteforums des Hauptstadtkongresses.
– © Claudia Burger
Oft ist die Rede davon, dass es mutige Lösungen braucht, um den multiplen Herausforderungen der Versorgungslandschaft zu begegnen. Was ist für Sie in diesem Zusammenhang Mut? Und wie gelingt es den Akteuren diesen zu finden?
Hauth: Der Mut, innovative Lösungen für die Herausforderungen der Versorgungslandschaft zu finden, setzt voraus, die Perspektive aus der eigenen Einrichtung, dem eigenen Versorgungssektor zu überwinden, um die bestmögliche Versorgung aus der Perspektive der Patientinnen und Patienten unter Berücksichtigung der nicht unendlichen Ressourcen neu zu definieren.
Die sich zuspitzende Krise in der medizinischen Versorgung, bedingt durch Inflation, Fachkräftemangel, erheblichen ökonomischen Druck auf alle Leistungserbringer, hat das Potenzial, die Akteure zu ermutigen. Als Psychiaterin und Psychotherapeutin sehe ich eine solche Krisenzuspitzung als Chance, bisherige Bewältigungsstrategien, die nicht mehr funktionieren, aufzugeben, kreative Potenziale zu entwickeln und neue Wege zu gehen. Kurz gesagt: Krise als Chance, sich und die Versorgungsstrukturen zu verändern.
Mitarbeitende begeistern, empowern und halten: Warum ist das derzeit noch schwerer als bisher und welche Rolle kommt hier dem Leadership im Healthcare-Sektor zu – vielleicht auch jenseits des Fachkräftemangels?
Hauth: Die permanent anwachsende Bürokratie, der Misstrauensaufwand, den Krankenhäuser gegenüber Krankenkassen und dem Medizinischen Dienst erbringen müssen, der ökonomische Druck führen bei Mitarbeitenden im Krankenhaus, im Gesundheitssystem zu Entfremdung, zu mangelnder Identifikation mit ihrer Tätigkeit in ihrer Einrichtung. Motivation und Verantwortungswille, die Freude am Beruf gehen verloren. Um Mitarbeitende zu begeistern, zu empowern und in der Einrichtung zu halten, steht die Wichtigkeit und Wirkung von Führung absolut im Mittelpunkt. Leadership heute muss einen Paradigmenwechsel vollziehen. Weg von dem irrigen Gedanken, dass Mitarbeitende im Gesundheitswesen, die Patientinnen und Patienten versorgen, den Stress, die Überarbeitung und die Erschöpfung aushalten müssen, hin zu der Überlegung, dass Menschen im Gesundheitswesen selbst Fürsorge brauchen, präventive Gesundheitsvorsorge und vor allem in ihrer Arbeit Respekt und Wertschätzung erfahren, in einer von Transparenz geprägten Kommunikation mitgenommen werden, ihnen Räume eröffnet werden. Und das überkommene Chefarztbild muss sich wandeln in einen Teamarzt, der die Selbstorganisation fördert, Kooperation auf Augenhöhe, einen wechselseitigen Respekt für den jeweiligen Beitrag der Professionen unterstützt – New Work in der Medizin!
Wird 2023 die Grundlage einer neuen Versorgungsstruktur für Deutschland geschaffen?
Hauth: Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat in ihren Stellungnahmen und Empfehlungen wichtige Aspekte aufgenommen. Die Reform der Krankenhausvergütung als Bestandteil zur nachhaltigen Stabilisierung der Krankenhausversorgung sowie als Baustein für eine sektorübergreifende Reform. Zudem sollen Fehlanreize des DRG-Systems durch Etablierung einer Kombination von leistungsabhängiger Vergütung und bedarfsnotwendiger Vorhaltefinanzierung umgesetzt werden sowie Anreize zur Ambulantisierung bisher stationär erbrachter Leistungen.
Zusammenfassend wichtige Empfehlungen, die aber noch wenig konkret und ohne nachhaltigen Ansatz zur Lösung sind. Auch liegt die Hoheit über die Krankenhausplanung bei den Ländern und es bleibt abzuwarten, wie diese mit den Empfehlungen umgehen. Und schlussendlich zum sektorübergreifenden Vorgehen gehören auch die niedergelassene Ärzteschaft bzw. die Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder. Daher ist eine gewisse Skepsis der verkündeten „Revolution“ angemessen.
„Mir fehlt in der Diskussion die Patientenperspektive.“
Dr. Iris Hauth
Bei all den Diskussionen um Krankenhausreform, Abrechnungsdebatten, Personalbemessung, Digitalisierung und Co: Geht es ausreichend um die Patientinnen und Patienten – also den Faktor Mensch oder zu sehr um das System?
Hauth: In der Tat fehlen mir in der Diskussion die Patientenperspektive, die Berücksichtigung des Bedarfs und der Bedürfnisse der Menschen, der Patientensicherheit. In vielen Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sowie auch in der wissenschaftlichen Fachgesellschaft – der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde – gibt es seit langem Betroffenen-/Patientenbeiräte, die ihre Perspektive in die Versorgungsplanung mit einbringen. Dies fehlt im aktuellen Reformprozess vollständig.
Welchen Wunsch haben Sie an die Entscheidungsebene aus der Perspektive Ihres Fachbereichs für 2023?
Hauth: Mein Wunsch bzw. meine Vision für die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist, dass alle Patientinnen und Patienten in Deutschland, egal an welchem Ort, eine ihrem Bedarf entsprechende, leitlinienorientierte Behandlung erhalten können. Gerade für die Therapie und Begleitung ist die Kontinuität von Ärzten und Therapeuten in einem multiprofessionellen Team von höchster Wichtigkeit. Die bisherigen Ansätze durch integrierte Versorgung, KSV-Richtlinie, stationsäquivalenten Leistungen sind erste wichtige Schritte. Doch aus meiner Erfahrung – auch in meiner Präsidentschaftszeit in der wissenschaftlichen Fachgesellschaft – lassen sich die Partialinteressen von den verschiedenen Leistungsanbietern wie Kliniken, Niedergelassenen, Einrichtungen der Eingliederungshilfe nicht überwinden, wenn nicht vom Gesetzgeber verpflichtende Vorgaben mit entsprechenden Anreizen gemacht werden.
„Transparente Kommunikation über die großartigen Möglichkeiten aber auch die Begrenztheit der Ressourcen im System sind essenziell.“
Dr. Iris Hauth
Wie kann es gelingen bei all den Überlegungen die Gesellschaft mitzunehmen? Als wie relevant erachten Sie das?
Hauth: Das halte ich für sehr relevant, zumal aktuell von vielen Menschen ganz persönlich negative Erlebnisse mit dem Gesundheitswesen geschildert werden und dies noch durch Medienberichte verstärkt wird. Um die Gesellschaft mitzunehmen, wäre für mich der erste Schritt, dass die Entscheidungsträger in der Politik, aber auch die Leistungserbringer der verschiedenen Sektoren eine wirkliche Reform, eine Vision unseres zukünftigen Gesundheitssystems entwickeln und dies unter Einbezug der Nutzerinnen und Nutzer. Transparente Kommunikation über die großartigen Möglichkeiten unseres Gesundheitssystems, aber auch die Begrenztheit der Ressourcen und die Notwendigkeit von Eigenverantwortung jedes Einzelnen für sich und seine Gesundheit, gehören dazu.