
„Prävention ist kein Luxus, sondern dringend notwendig“
Das Gesundheitssystem in Deutschland gilt als sehr fortschrittlich – doch Prävention hat darin bislang keinen hohen Stellenwert. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Das liegt in der Ausrichtung unseres Gesundheitssystems, das in erster Linie auf die Behandlung von Krankheiten ausgelegt ist – und nicht auf das Vermeiden von Krankheiten: Präventionsmaßnahmen werden zum Beispiel kaum vergütet. Auch in der Gesundheitspolitik wurde Prävention sehr lange stiefmütterlich behandelt. Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass Deutschland bei der Lebenserwartung trotz hoher Gesundheitsausgaben nur im Mittelfeld liegt – insbesondere wegen vermeidbarer Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Prävention ist also kein Luxus, sondern dringend notwendig – für gesündere Menschen und ein wirtschaftlich tragfähiges Gesundheitssystem. Der Präventionsindex macht genau diese Lücke sichtbar: Er zeigt, wo Prävention stattfindet – und wo nicht. Diese Transparenz fehlt bislang im staatlichen Handeln.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach konkret verändern, damit Prävention in Deutschland stärker verankert wird – und welchen Beitrag kann die Pharmaindustrie dabei leisten?
Wir können Prävention messen – zum Beispiel mit dem Präventionsindex. Dazu brauchen wir aber klare Zielvorgaben, zentrale Zuständigkeiten und eine strukturierte Datennutzung. Zudem braucht es einen kulturellen und politischen Paradigmenwechsel: Prävention muss als strategischer Pfeiler des Gesundheitssystems gedacht werden – nicht als Beiwerk.
Die Pharmaindustrie kann gezielt zur Umsetzung beitragen – etwa durch die Entwicklung innovativer Impfstoffe und Medikamente, durch wissenschaftliche Expertise sowie durch Aufklärung. Besonders wirkungsvoll ist die Stärkung niedrigschwelliger Impf- und Vorsorgeangebote – zum Beispiel durch ein flächendeckendes Impfangebot in Apotheken. Dies erhöht nicht nur die Impfquoten, sondern entlastet gleichzeitig Arztpraxen und stärkt die Rolle der wohnortnahen Versorgung.
Welche Rolle kann die Digitalisierung aus Ihrer Sicht bei der Prävention künftig spielen?
Digitale Anwendungen ermöglichen personalisierte Risikokommunikation, die gezielte Ansprache von Risikogruppen und Erinnerungen – zum Beispiel, sich zu bewegen oder Medikamente einzunehmen. Besonders wichtig ist aber der digitale Impfpass: Eine sektorübergreifend nutzbare elektronische Impfdokumentation – eingebettet in die elektronische Patientenakte – würde Impflücken schließen, Doppelimpfungen vermeiden und die Präventionsplanung massiv verbessern. Um das zu erreichen, braucht es klare Priorisierung: Der digitale Impfpass darf nicht länger ein Zukunftsversprechen bleiben, sondern muss jetzt technisch und gesetzgeberisch forciert werden.