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3 FRAGEN AN
Prof. Dr. Wolfgang Greiner

Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement an der Universität Bielefeld

„Innovationsfreundlichkeit und Kostensteuerung müssen sich im AMNOG nicht ausschließen“

Im aktuellen AMNOG-Report 2025 wird auf strukturelle Schwächen im Nutzenbewertungsverfahren hingewiesen. Wo sehen Sie aus gesundheitsökonomischer Sicht die größten Stellschrauben, um das Verfahren effizienter und zugleich innovationsfreundlicher zu gestalten?

Innovationsfreundlichkeit und Kostensteuerung müssen sich im AMNOG nicht ausschließen – doch aktuell gelingt der Spagat nur unzureichend. Die überproportional steigenden Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel – bei gleichzeitig wachsender Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben in der GKV – werden absehbar wohl zu kurzfristigen regulativen Eingriffen führen. Damit wird auch die Industrie rechnen. Und dennoch ist es wichtig, einen zentralen Aspekt der Innovationsförderung zu stärken: Planbarkeit. Dies gilt wechselseitig, sowohl für die Kostenträger als auch die Industrie, welche von planbaren, stabilen Rahmenbedingungen profitieren.

Und genau hier liegt aktuell ein strukturelles Defizit: Die Preis- und Ausgabenregulierung des AMNOGs ist zuletzt überkomplex geworden und trägt weder besonders zu einer Innovationsförderung noch zu einer stark wirksamen Ausgabenregulierung bei. Die Regulierung ist durch Leitplanken und Sonderregeln überkomplex geworden, was Planbarkeit verhindert und Investitionsanreize schwächt. Komplexität ist jedoch kein Ersatz für Steuerungsfähigkeit. Die gute Nachricht: Es gibt Optionen zur Kostendämpfung wie zur Innovationsförderung. Die schlechte: Sie sind alle mit Nebenwirkungen verbunden, was ihre politische Umsetzbarkeit derzeit schwierig machen wird.

Der Zugang zu neuen Arzneimitteln ist zunehmend auch eine Frage der Finanzierbarkeit. Welche Anreize brauchen Unternehmen, damit Innovation nicht nur entwickelt, sondern auch bezahlbar verfügbar gemacht wird?

Deutschland verzichtet bewusst auf eine „vierte Hürde“ wie etwa in Großbritannien, durch welche die Frage der Finanzierbarkeit notwendige Bedingung für den Marktzugang ist. Der schnelle Marktzugang zu einem zunächst frei festgelegten Herstellerpreis ist ein bewährtes Prinzip in Deutschland – und ein Grund für unseren Spitzenplatz bei Umfang und Zeit bis zur Verfügbarkeit neuer Arzneimittel.

Doch zwei Hebel fehlen: erstens, eine rationale Preisfindung unmittelbar nach Markteintritt in den Situationen, in denen hinreichende Daten aus klinischen Studien fehlen. Und zweitens, Ausgaben bereits nutzenbewerteter Arzneimittel dann wirksam zu regulieren, wenn sie durch zahlreiche Indikationserweiterungen bedeutende Umsatzsprünge machen. Aber auch hier gilt, dass überkomplexe Regelungen nicht zu einer für die Industrie und Kostenträger wichtigen Planbarkeit beitragen.

In der öffentlichen Debatte wird häufig von einer „AMNOG-Lücke“ gesprochen. Was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff – und welche konkreten Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht notwendig, um diese Lücke im Sinne einer besseren Versorgung zu schließen?

Der Begriff „AMNOG-Lücke“ steht sinnbildlich für verschiedene Schwachstellen innerhalb eines bereits schon sehr komplexen und mehrstufigen Verfahrens. Besonders prominent ist derzeit die sogenannte Evidenzlücke – etwa bei Orphan Drugs mit sehr kleinen Zielpopulationen, in denen randomisierte, kontrollierte Studien oft aus ethischen, methodischen oder praktischen Gründen nicht durchführbar sind.

Die Hoffnung, diese Lücke durch anwendungsbegleitende Datenerhebungen zu schließen, hat sich bislang nicht erfüllt. Dies liegt vor allem an einem bislang noch sehr bürokratischen Vorlauf solcher Register. Hilfreich wären hier eine stärkere Standardisierung der Prozesse und indikationsspezifische Register, die nicht produktspezifisch extra aufgebaut werden müssten. Hier wird es den Mut zu neuen Denkmodellen unter Einbezug leichter und schneller verfügbaren Versorgungsdaten geben müssen – sowohl bei den Evidenzanforderungen als auch der adaptiven Preisbildung.

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